Erinnern ist Leben by Manfred Wekwerth
Autor:Manfred Wekwerth [Wekwerth, Manfred]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Neues Leben
veröffentlicht: 2015-04-18T16:00:00+00:00
III. Kapitel
Auf Wanderschaft
1970–1977
In London | In Tblissi | In Zürich | In Babelsberg | Der Rückfall
In London
Zugrunde liegt ein Gespräch mit Hans-Dieter Schütt aus dem Jahr 1994.
Sie waren 1970 wahrscheinlich der einzige Mensch auf dieser Erde, der für alle Länder ein Verbot hatte, Brecht zu inszenieren. Wie wirkte sich das aus?
Verheerend. Denn alle Angebote, die ich bekam und auf die ich als »Arbeitsloser« angewiesen war, waren Angebote, Brecht zu inszenieren. Die Anfragen von interessierten Theatern wurden nicht einmal mehr von Helene Weigel abgelehnt, sondern von ihren Rechtsanwälten.
Es lag auch an mir, ich hatte den Konflikt noch einmal zugespitzt. Ein Geschenk Helene Weigels aus »guten Zeiten«, es waren zehntausend Mark auf einem Sperrkonto, hatte ich mir auszahlen lassen und spendete sie für Vietnam. Aus Überzeugung und aus Daffke. Aber das Verbot hatte auch seine guten Seiten. Es zwang mich, zwei Entdeckungen zu machen.
Zum Beispiel?
Shakespeare. Sir Laurence Olivier, der Direktor des National Theatre of Great Britain, der »Larry« genannt werden wollte, hatte mich, Jochen Tenschert und den Bühnenbildner Manfred Grund eingeladen, in London unseren Berliner Coriolan zu wiederholen. Zusammen mit uns traf in London ein Schreiben ein, in dem die Rechtsanwälte der Brecht-Erben bereits die Höhe der Konventionalstrafe nannten, die das National Theatre zahlen müsse, wenn auch nur eine Zeile der Brecht-Bearbeitung des Coriolan ins Englische übersetzt würde. Und wir übersetzten keine Zeile, und Shakespeare erwies sich gegenüber seinem Bearbeiter als der Stärkere. Denn alles, was Brecht mit dem Stück zeigen wollte, konnte man mit dem Stück zeigen, ohne es umzuschreiben.
Sie waren zu zwei Entdeckungen gezwungen. Was entdeckten Sie noch gezwungenermaßen?
Einen jungen Schauspieler mit Namen Anthony Hopkins.
Hopkins? Den Weltstar aus Das Schweigen der Lämmer und aus Shadowlands?
Damals ein unbekannter Schauspieler. Es bedurfte vieler Überredungskünste, bis »Larry« einverstanden war, daß er den Coriolan spielt. Sogar die Presse mischte sich ein. Überhaupt gab es einen regelrechten Pressekrieg gegen uns aus dem »kommunistischen Osten«, und das im liberalen England. Man betrachtete uns als Okkupanten der »traditionsreichen königlichen Spielstätte«. Die Times wußte nach unserer Ankunft zu berichten, daß wir rote Umschlagdeckel für alle Textbücher verlangt hätten.
Und stimmt das mit den roten Umschlagdeckeln?
Natürlich. Aber rote Umschlagdeckel hat das National Theatre seit Königin Victoria.
Und wer zwang Sie zu der Besetzung mit Anthony Hopkins?
Wir selbst. Nachdem ich Christopher Plummer, der laut Vertrag den Coriolan spielen sollte, umbesetzt hatte.
Plummer war doch damals ein Star. Auch ein berühmter Shakespeare-Schauspieler, bevor er nach Hollywood ging. Warum wurde er umbesetzt?
Er blieb leider in der Arbeit ein Star. Plummer ist ein großartiger Schauspieler, aber eben zu lange in Hollywood. Es ist fast ein bißchen tragisch. Denn er hatte während der London-Tournee des Berliner Ensembles unseren Coriolan gesehen und bestand bei Laurence Olivier darauf, daß man mich als Gastregisseur dafür an das National Theatre holt. Nach herzlicher Begrüßung hielt die Freundschaft nur wenige Augenblicke, denn er teilte mir mit, daß er den Coriolan wie Tarzan im Schurzfell zu spielen gedenke, was ihm vertraglich zugesichert sei. Und daß er sich deswegen auf den Bahamas habe braun brennen lassen. Ich sah ihn an, er war wirklich dunkelbraun.
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